Die Schule in Hahausen

Schuljahr 1959 / 1960

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Ostdeutsche Woche vom 06. bis 13. März 1960


Dienstag, den 08.03.196o:Eröffnungsabend

Hauptlehrer Jahns sprach in einem Vortag über "Heimat als unverzichtbares Besitztum".

Meine Damen und Herren!
Im Namen der Volksschule Hahausen heiße ich Sie alle herzlich willkommen, besonderst begrüße ich Herrn Bürgermeister Deppe, den Schulausschuss und N.N.

 Bevor ich über den Sinn dieser Woche spreche, möchte ich allen herzlich danken, die an den Vorbereitungen für das Gelingen der Ausstellung und der Veranstaltungen sich beteiligt haben! Ich möchte es auch an dieser Stelle deutlich aussprechen, dass die Lehrer in wochenlanger, selbstloser Arbeit viel Mühe und viel Zeit dafür geopfert haben; dass aber auch Schulkinder freiwillig auf Spiel und Freizeit verzichteten, um mitzuhelfen, - dass dann aber auch Erwachsene mitgemacht haben, wie Sie es noch heute Abend hören werden.

Allen, die uns Bilder zur Verfügung stellten, meinen Dank! Und nicht zuletzt möchte ich Kollege Lücke, Harlingerode, unseren Dank für die wunderbaren und zum Teil einmaligen Aufnahmen aus Danzig und Ostpreußen aussprechen; die Bilder können Sie hier in den Ausstellungsräumen sehen. - Natürlich hat das alles auch viel Geld gekostet! Wer es bezahlen wird, steht schon fest: wir,

woher wir das Geld noch bekommen sollen, das wissen Sie!
Ich möchte deshalb Sie ganz diskret auf eine kleine Spendenbüchse im Flur hinweisen, die neben dem Ausgang steht. Der Spendenfreudigkeit sind keine Grenzen gesetzt! herzlichen Dank!

Der Veranstaltungskalender ist allen Familien zugestellt worden. Ich möchte Sie nun besonders auf unsere Ausstellung hinweisen. Nehmen Sie sich Zeit bei der Besichtigung!

Sie finden hier Bücher in so großer Auswahl, dass fast jeder der Vertriebenen etwas aus seinem engeren Heimatkreis finden kann. Den Ortsansässigen aber will die Ausstellung einen kleinen Ausschnitt aus dem geistigen Schaffen der Ostdeutschen vor Augen führen.

Warum veranstaltet die Schule Hahausen mit vielen Schulen des Kreises Gandersheim die Ostdeutsche Woche unter dem Motto: Deutschland ist unteilbar?

Wir werden es vielleicht besser verstehen, wenn wir uns jetzt mit einiger Gedanken auseinandersetzen.

Das geteilte Deutschland
Wenn wir über das geteilte Deutschland sprechen wollen, müssen wir kurz auf das Jahr 1945 zurückblenden:

Zerbombte Städte, rauchende Trümmer, irrende Menschen, hungernde Kinder, Wohnungsnot, Trauer in den Familien, verlogene Parolen, Standgerichte, zerschlagene Truppen auf dam Rückmarsch, endlose Trecks im Osten auf allen Straßen, an den Straßen Tote ,erfroren, erschossen, zermalmt, zerbrochene Fahrzeuge, Hausrat und Kadaver in den Gräben der endlosen Straßen. - Ein Volk war auf der Flucht.

 In diesem chaotischen Zusammenbrach ahnten alle , dass eine furchtbare Rache an dem deutschen Volk vollzogen wird.

Nach der Kapitulation im Mai 1945 waren sich die Siegermächte in einem Punkte ganz einig: Das deutsche Volk muss hart bestraft werden und Deutschland darf nie wieder ein politisch oder wirtschaftlich starker Staat werden

Es folgte die Potsdamer Konferenz im Sommer 1945. - Die Großen Vier beschlossen die Entmilitarisierung Deutschlands, die Teilung und gemeinsame Verwaltung Berlins, den Rückzug der anglo-amerikanischen Truppen aus Mecklenburg, Sachsen und Thüringen, unter anderem auch dass die Grenzen Deutschlands in einem Friedensvertrag festgelegt werden sollten.

Wie die Entwicklung weiterging, wissen wir: Die Deutschen aus dem Osten, denen die Flucht nicht gelang, wurden vertrieben - man nannte es Umsiedlung. Die Ostgebiete, die unter polnische Verwaltung kamen, sind jetzt von Polen besiedelt.

Die sowjetische Besatzungszone, also Mitteldeutschland, hat eine eigene -Regierung mit eigener Vertretung im Auslande, sie hat eigenes Militär, eigene Gesetze, eine andere Gesellschaftsordnung, eigenes Geld usw. Die 3 Westzonen haben sich zur Bundesrepublik Deutschland zusammengeschlossen. Hier haben wir versucht geschichtlich den Anschluss an die Weimarer Republik zu finden. Auch wir haben eine eigene Regierung, eigenes Geld, eigene Gesetze, eigene Wirtschaftsformen und eigenes Militär usw. Es gibt in unserem 4-geleilten Deutschland: Westdeutschland, Mitteldeutschland, Berlin und Ostdeutschland strenger bewachte Grenzen als zwischen Deutschland und den Nachbarländern.

Wir haben hier in Westdeutschland aus der Not eine Tugend gemacht. Und um Not und Elend, Gewalt und Verbrechen zu vergessen, uns in die Arbeit gestürzt - und sind so zum vielgenannten- beneideten und gehassten Wirtschaftswunderland geworden.

Was schert uns noch Vaterland und Heimat,

Fahne und Eid,
was Geist und Kultur,
was Gott und Teufel,
was Anstand und Sitte,
was Ehrfurcht und Treue,
was Familie und Gemeinde, wenn wir nur genug verdiene!

um unsere Leiblichen and triebhaften Bedürfnisse befriedigen können. Sind wir nicht auf der Kehrseite von dort angelangt, wo wir vor 25 Jahren standen? Sind wir geistig stark genug, um nicht bei dar geringsten Erschütterung in den Abgrund zu stürzen?

Was haben wir, unsere Abgeordneten, unsere Regierung für die Wiedervereinigung getan? 0der sind wir heute gar schon so weit, dass wir sagen: Wozu der ostdeutsche Rummel? Lasst uns in Ruhe! Die Menschen sind hier in Arbeit und Brot, manchem geht es besser als vorher, die Schulkinder sind hier schon geboren, sie wissen nichts mehr von der alten Heimat ihrer Eltern. Vergesst doch endlich den deutschen Osten, dann wird endlich. Frieden und alles Unrecht den anderen gegenüber ist gutgemacht.

Ich frage: Ist ein Unrecht gutgemacht, wenn es durch ein größeres an ebenfalls unschuldigen Menschen begangen worden ist?

1959 war das Weltflüchtlingsjahr.  Sollen wir darüber schweigen, dass in diesem Jahrhundert - also in 60 Jahren 15o Millionen Menschen vertrieben wurden oder geflüchtet sind? Seit 1945 mussten auf der Welt über 4o Millionen Menschen ihre Heimat verlassen. In Asien, Afrika, Europa, überall ist es das gleiche Elend! Sollen wir unsere Augen davor verschließen, dass täglich 5oo bis 1.000 Menschen aus der Ostzone nach Westdeutschland fliehen, nur um in Freiheit zu leben?

 Und jeder Flüchtling dieser Millionenschar empfindet als Mensch wie Du und ich.

 Die ostdeutsche Woche will uns mahnen, Vernunft anzunehmen. Unser Recht nicht aufzugeben, unseren Anspruch anzumelden. Aber unser Recht nicht durch Gewalt verschaffen wollen. Recht kann niemals durch Unrecht geschaffen werden,

Wer hat mit der Vertreibung begonnen?
Die Vertriebenen lehnen Schuldaufrechnungen aus ethischen Gründen ab.  Sie haben auf Rache und Vergeltung verzichtet.

Eine bestimmte ausländische Propaganda macht es sich leicht, in dem sie behauptet, dass die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten eine berechtigte Vergeltungsmaßnahme für die Vertreibung der Polen und Juden aus Westpolen war. Leider finden sich auch viele Deutsche und sogar ernsthafte Gegner des dritten Reiches, die sich von der These des Nationalsozialismus nicht freimachen können, die Geschichte habe erst nach der "Machtübernahme" begonnen und die Wurzel allen Übels sei erst in dieser Zeit zu suchen.

Man glaubt schon viel zu wissen, wenn man auf die nach 1919 erfolgte Verdrängung der Deutschen aus Posen-Westpreußen hinweist. In Wirklichkeit wurden aber schon vorher Hunderttausende Deutsche aus ihrer angestammten Heimat in Osteuropa vertrieben.

Zum besseren Verständnis sei daran erinnert, dass es im Jahre 1914 zu einem Krieg nicht nur zwischen den Staaten, sondern auch zwischen Völkergruppen untereinander gekommen ist. Da es in vielen Gebieten Russlands große deutsche Sprachinseln gegeben hat, richtete sich nach den ersten militärischen Misserfolgen der Hass gegen die Deutschen. Ihnen wurde schon damals Spionage, Sabotage usw. vorgeworfen.

Es wurde nach Sibirien verschleppt; Nach dem 15. Juli 1915 wurden 150.000 Deutsche von Haus und Hof verjagt und nach Sibirien verbannt. Etwa die Hälfte kehrte nach 1919 nur noch zurück. Iim Spätherbst 1914 wurden aus Kongresspolen 140.000 Deutsche nach Sibirien verschleppt. Unterwegs kamen um: Die Hälfte der Kinder und 15 % der Erwachsenen.
Schon während des Krieges tauchte bei der damaligen Regierung der Gedanke auf, eine europäische "Flurbereinigung" auf freiwilliger Basis durchzuführen. Nach 1918 und dem Versailler Vertrag wurden vertrieben:

Aus Posen-Westpreußen 700.000 Deutsche,
aus Elsass-Lothringen 130.000 Deutsche,
aus Nordschleswig und anderen europäischen Staaten 300.000.

Während des Krieges 1939/45 wurden aus dem osteuropäischen Raum die deutschen Volksgruppen umgesiedelt. Diese Umsiedlung scheint eher eine Folge denn eine Ursache denn  der Vertreibung zu sein. Es meldeten sich aus diesem Raum 770.000 Volksdeutsche freiwillig zur "Heimkehr ins Reich".

Leider verband die Reichsregierung damals mit der Umsiedlung die Vertreibung von 1 Millionen  Polen und etwa 500.000 Juden aus den westpolnischen Gebieten. Das brutale Vorgehen hat verständlicherweise große Erbitterung bei den Polen hervorgerufen. Die umgesiedelten Deutschen waren aber auch unglücklich, dass von einer Heimkehr ins Reich nichts wurde, sondern dass sie weiter in der Umgebung eines fremden Volkes und in einer ihnen fremden Umwelt leben sollten.

Welchen Umfang die dann 1944 begonnene und z.T. in Potsdam sanktionierte Vertreibung der Deutschen angenommen hat, ist bekannt, ebenso, dass die Sowjets, die Polen, die Tschechen und die Serben sich in Grausamkeiten überboten und alles vorhergehende in den Schatten gestellt haben.

Die 13 Millionen Deutschen, die aus den Oder-Neiße-Gebieten sowie aus Ost- und Südosteuropa vertrieben wurden, und die 3,3 Millionen, die aus der sowjetisch besetzten Zone flüchten mussten, stellen einen beachtlichen Teil der insgesamt 4o Millionen Menschen dar, die seit 1945 auf der ganzen Welt- größtenteils aus Anliegerstaaten der UdSSR - vertrieben wurden.

Deutsche aber waren nicht die ersten Vertreiber, sondern die ersten Vertriebenen. Wir aber wollen nicht rechten! Wir wollen nur an das Gewissen aller Deutschen und aller Menschen appellieren! Wo bleibt das Selbstbestimmungsrecht der Völker? Das Recht, das so oft von Staatsmänner, den Vereinten Nationen, Regierungen und Politikern in schönen Reden beschworen, gefordert - und dann verweigert worden ist.

Der Mensch kann ohne Ort und Bindung nicht leben! Er kann nicht in stetem Gegensatz zu seiner Umwelt stehen. Er muss sich geborgen fühlen in der Umwelt, dann ist er erst zu schöpferischer Tätigkeit fähig, dann erst entfalten sich seine Kräfte, und dann erst wird er Persönlichkeit.
Diese Geborgenheit aber bietet erst die Heimat.

Heimat ist nicht der Raum, in dem man lebt, sondern auch die Menschen, mit denen man lebt und ebenso der Aufgabenkreis, an dem man arbeitet. Raum, Mitmenschen und Lebensaufgabe umschließen alles andere, was dann noch hinzukommt. -Verlust der Heimat bedeutet daher den Gesamtverlust all dessen, was man bildhaft als Mutterboden des Lebens bezeichnen kann, aus dem nicht nur der Einzelne wächst und wirkt und den er zu seiner Persönlichkeitsbildung braucht, sondern der vor allem den notwendigen Rückhalt jeder gesunden Familie darstellt. Hier ist auch der Grund zu finden, warum die Vertriebenen und Flüchtlinge den Verlust der Heimat von Jahr zu Jahr schmerzlicher empfinden.

 Die Heimat lässt den Menschen von seiner Geburt an nicht wieder los. Sie ist unersetzlich. Heimatlosigkeit bedeutet Wurzellosigkeit. Mit beiden beginnt die Zerstörung der Grundlagen der Gemeinschaft. Sie lösen die Volksordnung auf und drohen, das staatliche Gefüge zu zerbröckeln«, Auf die Heimat hat der Mensch nicht nur ein Recht. Sie legt ihm auch die Pflicht auf, an ihrem Schicksal teilzunehmen und es auch möglichst mitzugestalten. Wer seine Heimat leichtfertig aufgibt oder gar verrät, stellt sich außerhalb einer natürlichen Bindung. Nur der Heimatverbundene kann von seinen staatsbürgerlichen Freiheiten und den demokratischen Einrichtungen für die Gemeinschaft fruchtbaren Gebrauch machen.

Nur wer zu seiner Heimat steht, kann ein guter Staatsbürger sein! Haben die Vertriebenen hier eine neue Heimat gefunden oder sind sie heimatlos?

Dazu kann ich nur sagen: Heimat ist ein unverlierbares Besitztum. Die vertriebenen Ostdeutschen sind hineingewachsen in das wirtschaftliche und geistige Leben Westdeutschlands. Einheimische und Vertriebene haben sich im Nehmen und Geben einander genähert, und im Aufeinanderprall der Anschauungen und Temperamente miteinander gewandelt.

Was uns nach dam Willen der Sieger als Volk aufspalten und im Lebensnerv treffen sollte, hat sich für das gesamte deutsche Schicksal als fruchtbare Prüfung erwiesen. Wir haben erfahren, dass wir zuerst und zuletzt Deutsche sind, und dann erst Niedersachsen, Ostpreußen, Schlesier oder Pommern. Dass wir ein gemeinsames Schicksal haben, das keiner dem anderen vorwerfen kann. Ohne Heimat kann keiner leben, und kein ehrlicher Mensch wird leugnen können, dass der deutsche Osten deutsche Heimat war.

Diese Heimat haben nicht nur die Ostpreußen, die Pommern, die Schlesier, die Sudetendeutschen und wer sonst immer verloren. Diese Heimat haben wir alle verloren, auch wir hier im Westen, und sie wiederzugewinnen, ist das Anliegen aller Deutschen in der Welt.

Hoffmann v. Fallersleben, der Heimat und Vaterland, Deutschland, verlassen musste, hat der Sehnsucht nach Deutschland vielleicht die Gefühle, die auch uns bewegen, am besten in dem Deutschlandlied ausgedrückt:

"Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland, danach lasst uns alle streben brüderlich mit Herz und Hand, Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand. Blüh im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland"!